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Schreibtischbilder

Im Frühjahr 1971 nahm ich, nach bestandenem Ingenieurexamen, meine berufliche Tätigkeit in einem Bauunternehmen auf. Wie für einen Berufseinsteiger üblich, saß ich mit einem Kollegen gemeinsam in einem Büro. Unsere Schreibtische standen sich gegenüber. Jeder hatte ein Telefon, das rechter Hand stand. In der Mitte lag eine grüne Schreibunterlage aus Kunststoff, links daneben ein Ablagekasten aus Holz, für zu bearbeitende Vorgänge. Vor der grünen Schreibunterlage gab es ein Kästchen mit Kugelschreibern und Bleistiften. Notizen machte man damals auf Altpapier, einseitig beschriebene Angebots- oder Rechnungsblanketten, die nicht mehr gebraucht wurden, und deren freie Rückseite für Notizen, Ausarbeitungen und schriftliche Entwürfe dienten. Diese DIN A 4 Blätter wurden nach Gebrauch zusammengeknüllt und in den Papierkorb entsorgt. Nachdem ich mehrfach Notizen die ich länger hätte aufbewahren sollen weggeworfen hatte, gewöhnte ich mir an, die Schmierblätter einige Tage aufzuheben. Aber spätestens nach einer Woche entschloss ich mich dann doch dazu sie wegzuwerfen. Ein paar Tage später suchte ich wieder eine Notiz.

Bei einem Kollegen hatte ich eine Schreibtischunterlage gesehen, DIN A 2 (59,4×42 cm groß) mit Reklame einer Baustofffirma bedruckt, aber mit großen freien weißen Flächen. Der Kollege nutzte sie um Notizen zu machen und entsorgte jeweils ein Blatt von diesem Block, wenn es vollgeschrieben oder unansehnlich geworden war. Solch einen Block brauchte ich!

Aber ich wollte keine Werbung auf meinem Schreibtisch, sondern einen weißen Block. Tatsächlich gelang es mir, nach einigem Suchen, einen solchen Block zu organisieren. Dieser lag dann, es muss wohl im Jahre 1971 gewesen sein, auf meinem Schreibtisch und ich benutzte ihn, um mir Notizen zu machen, etwas zu skizzieren oder einfach nur herum zu kritzeln oder zu zeichnen, während ich telefonierte.

Dass hieraus einmal ein Bilderzyklus werden sollte, war mir damals nicht klar. Ich benutzte die Schreibtischunterlage auch nicht so extensiv, dass ich die Blätter wöchentlich oder monatlich auswechseln musste. Von Anfang an nutzte ich die Blätter jeweils 1 Jahr. Danach löste ich das Blatt vom Block ab, rollte es zusammen und hob es auf. Das Aufheben begründete ich für mich damit, dass ich gegebenenfalls notierte Ereignisse, Namen, Telefonnummern oder Sonstiges noch einmal nachschauen könnte. Tatsächlich geschah das auch hin und wieder, aber eher selten. Warum ich jahrelang diese Blätter sammelte und nicht wegwarf erschloss sich mir erst später. Vielleicht lag es aber auch damals schon daran, dass ich mehrfach, meiner Meinung nach, interessante Skizzen und Bilder zu Stande gebracht hatte, die ich aufbewahren wollte. Skizzen oder Bilder von Menschen, Tieren, Landschaften, technischem Gerät oder Gegenständen verfertigte ich des Öfteren bei längeren Telefonaten. Die Fähigkeit zuzuhören und lange mit dem Partner auf der anderen Seite der Leitung zu kommunizieren, begünstigte meine kreative rechte Hand, die mit Bleistift oder Kugelschreiber versehen, irgendwelche Bilder produzierten, die meistens mit dem Gesprächsinhalt nicht allzu viel zu tun hatten. Leider ist mir die Fähigkeit, lange Telefonate zu führen, im Laufe meiner Berufstätigkeit mehr und mehr abhandengekommen und so sind die intuitiven Skizzen und Zeichnungen, die sich in den Anfangsjahren meiner Berufstätigkeit auf meiner Schreibtischunterlage manifestierten, weniger geworden. Dafür hat anderes zugenommen. Verändert hat sich auch die Art der Nutzung. In den frühen Jahren drehte ich das Blatt um 180 °, wenn der obere und rechte Teil des Blattes gefüllt war und nutzte dann die neu gewonnenen Flächen. Bei der Betrachtung der alten Blätter kann man das an den kopfstehenden Gesichtern oder Personen erkennen, die eben von der anderen Seite her gezeichnet wurden. In diesem Zusammenhang fällt mir auch ein, dass die Blattkennzeichnung mit der jeweiligen Jahreszahl erst später begann. Wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Aufzeichnung der Zahlungseingänge, diese wollte ich dem jeweiligen Jahr zuordnen und damit vergleichbar machen.

Bei der Erstellung der Reihenfolge der Schreibtischblätter wurde das Problem der Kennzeichnung erkannt. Die Fertigstellung der einzelnen Blätter ist durch die Signatur mit Jahreszahl nachvollziehbar. Die Entstehung der Urblätter aber nicht. Die Zeitreihe wurde so exakt als möglich rekonstruiert. Fehler während der ersten 10 – 15 Jahre sind aber möglich.

Doch zurück zur Entstehungsgeschichte.

Der Zeitpunkt an dem mir die Idee kam und der Entschluss reifte, aus diesen Schreibtischblättern, die ich ja jetzt schon mehrere Jahre aufgehoben hatte, etwas Anderes zu machen als Erinnerungshilfen, kam 1975. Es ist das Geburtsjahr meiner Söhne Thore und Arne. Auf dem Blatt von 1975 sieht man einen Mann auf einer Bank vor einem Gebäudekomplex und einer Landschaft sitzen, der zwei Säuglinge auf dem Arm hält. Die Zeichnung war zunächst als Bleistiftzeichnung entstanden, vermutlich bei einem langen Telefonat begonnen und dann in ruhigen Minuten fortgeführt, beendet worden. Sie ist in Gedanken an meine zukünftige Vaterrolle und meine schwangere Liebe entstanden. Ich weiß noch wie heute, dass der Vater zunächst mit einem Baby im Arm gezeichnet wurde. Zwar hatten wir schon Hinweise bekommen, dass es möglicherweise eine Zwillingsgeburt sein würde, sicher waren wir aber nicht. Die damaligen Diagnosemethoden – Ultraschallbilder – waren noch nicht so ausgereift, dass eine klare Aussage hinsichtlich Zwillingsgeburt und Geschlecht möglich gewesen wäre. Dann waren es zwei Jungs! Thore und Arne! Ich hatte Evelyn schon am Abend des Vortages ins Krankenhaus gebracht, weil die Wehen begannen. Man schickte mich aber wieder nach Hause, es könne noch dauern. Es dauerte bis zum nächsten Morgen, bis sich die Wehen verstärkten und die Geburt bevorstand. Nach einem Telefonat mit dem zuständigen Arzt wurde mir mitgeteilt, dass ich bei der Entbindung nicht dabei sein könne. Ein Kaiserschnitt sei erforderlich. Ich saß den ganzen Vormittag im Büro und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ich zeichnete die Bleistiftzeichnung mit Tusche nach. Mit einem sogenannten Rapidographen einem Tuschestift, den wir für die Erstellung von Zeichnungen und die Aufstellung von Massenermittlungen für die Rechnungen nutzten. Mit solch einem Zeichengerät überarbeitete ich nun die Bleistiftzeichnung auf dem großen Block. Erst gegen 15.30 Uhr erreichte mich der Anruf aus dem Krankenhaus in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich Vater von gesunden Zwillingsjungen sei und es der Mutter den Umständen entsprechend gut ginge. Zwillinge!! Der Vater auf meinem Bild hielt ein Kind im Arm, dass zweite fügte ich jetzt hinzu. Ich war überglücklich, dass alles gut gegangen war und dass wir nun eine richtige Familie waren.

Als ich Ende des Jahres 1975 dieses Blatt vom Block trennte war mir klar, dass ich es nicht nur aufheben, sondern auch weiterverarbeiten wollte. Die Idee entstand, aus den Schreibtischblättern Kunst zu machen.

Das war deshalb nicht abwegig, da ich zu diesem Zeitpunkt bereits malte und mich bei der Tätigkeit des Zeichnens und Kolorierens wohlfühlte. Ich malte mit Wasserfarben, Aquarellfarben, Tuschfarben und selten auch mit Öl. Der Impuls aus diesen Schreibtischblättern mittels Farben und graphischen Zufügungen Kunstblätter zu machen, faszinierte mich. Ich sah darin die Möglichkeit, zwei Welten miteinander zu verbinden. Meine berufliche Tätigkeit, die technische auf „Broterwerb“ gerichtete Arbeit, also die materialistische Seite meines Lebens mit der kreativen, irrationalen, sensitiven Seite, die auch in mir schlummert. Später fand ich dafür den Ausdruck der materialistischen Kunst, die sich in diesen Schreibtischbildern manifestiert. Ein Wiederspruch in sich, aber Realität für mich.

Die in der Berufstätigkeit gefertigten Skizzen, Anmerkungen, Notizen und Kritzeleien wurden in der kreativen Phase überlagert durch Farben und neue Formgebung und dadurch artifiziert.

Dabei kann man wenn man in der Zeitreihe die Schreibtischblätter betrachtet, immerhin über einen Zeitraum von 50 Jahren, verschiedene Entwicklungen nachvollziehen. Diese Entwicklungen lassen sich sowohl im Bereich der materialistischen, also berufsbedingten Grundlagen dieser Kunst, festmachen, wie auch im kreativen Bereich, der Kolorierung und der Interpretation der vorgefundenen Grundlagen.  

Auffällig ist z.B., dass ab einem gewissen Zeitpunkt bei den Bildern Blöcke von Zahlenkolonnen auftauchen, die den Zahlen 1 – 52 zugeordnet sind. Es handelt sich um die Notierungen von Zahlungseingängen je Wocheneinheit. In meiner Tätigkeit als Betriebsleiter hatte ich mir angewöhnt, die eingehenden Zahlungen täglich zu notieren und die Wochensummen festzuhalten. Ich erhielt so einen guten Überblick über die Liquiditätsentwicklung des Unternehmens. Am Ende des Jahres addierte ich die Wocheneingänge und teilte sie dann durch die Wochen, um einen Durchschnittswert für die wöchentlichen Zahlungseingänge zu erhalten.

Im Laufe der Jahre wurden die Aufzeichnungen intensiver und umfangreicher, was sich auch in den Bildern wiedererkennen lässt. Begleitet wurde diese Entwicklung auf der anderen Seite durch die Verringerung von Kritzeleien oder Zeichnungen, wie sie bei den älteren Blättern stärker vorzufinden sind. Dies ist Ausdruck der höheren Effizienz und Konzentration in der materiellen Arbeitswelt, die so zu einer Zurückdrängung des Kreativen in der täglichen Arbeit geführt hat.

Dann ist wiederum im Zeitverlauf des Bilderzyklus festzustellen, dass die kreative Bearbeitung der Blätter in der Abfolge immer intensiver wird. Die Interpretation der vorgenommenen farblichen und graphischen Bearbeitung nimmt immer mehr zu! Wir haben es also mit einem wechselseitigen sich verstärkenden Druck im materialistischen, beruflichen Bereich zu immer größerer Konformität und Rationalität zu tun, dem gegenüber wird andererseits die kreative künstlerische Bearbeitung und Überarbeitung stärker und sichtbarer.

Hierzu hat sicherlich die zunehmend intensivere Bearbeitung nicht nur der einzelnen Blätter, sondern auch die engere zeitliche Abfolge der Bearbeitung beigetragen. Vergingen am Anfang des Zyklus Monate bevor ich weiter Arbeitete und mir das nächste Blatt vornahm, so folgten danach Jahre in denen nichts geschah. Blatt für Blatt wurde Jahr um Jahr abgetrennt und auf eine gemeinsame Rolle gewickelt, um es dann, erst nach langer Wartezeit, wieder zu entnehmen und zu bearbeiten.

Zum Ausklang des Arbeitslebens fand sich dann etwas mehr Zeit für den Zyklus. In engerer zeitlicher Abfolge entstanden dann in den letzten vier Jahren die neuesten Blätter.

Auch das hat seine Auswirkungen auf die Komposition, die Farb- und Formensprache der einzelnen Bilder des Zyklus. Die Kleinteiligkeit blieb erhalten, wurde aber zunehmend von großformatigen Elementen überlagert. Aussagen sind teilweise sehr direkt zu entnehmen, was bei früheren Blättern eher die Ausnahme bildet.

Wie entstehen die Schreibtischbilder?

Die einzelnen Schreibtischblätter sind in späteren Jahren sowohl mit dem Signum des Zeichners und dem Monat und Jahr der Fertigstellung versehen, wie auch mit der Jahreszahl des jeweiligen Schreibtischblattes. Interessant wäre eine Analyse hinsichtlich der Zeitreihe der „Rohschreibtischblätter“ wie auch eine Zeitreihe der fertig gestellten Bilder. Die weiter oben genannten Entwicklungslinien sowohl in materialistischer wie auch in kreativer Hinsicht würden sich sicherlich dabei gut aufzeigen lassen.

Zur Ausführung:

Das unbearbeitete über ein Jahr benutzte Schreibtischblatt wird auf ein Reißbrett aufgelegt, ausgerichtet und mit Reißzwecken befestigt. Auf dem Blatt sieht man die mit Kugelschreiber, Bleistift und manchmal auch Buntstiften geschriebenen Notizen, hier und da Skizzen oder Schmierereien und dann wie beschrieben die Blöcke der Zahlenreihen der Zahlungseingänge je Woche. Man sieht aber auch Verfärbungen, Flecken die von Getränken Tee, Kaffee oder auch mal einem anderen Getränk herrühren. Stellen die leicht fettig sind, möglicherweise von eingecremten Händen oder von Schweiß oder von was auch immer. Auf einem Blatt befinden sich auch Spuren von Tränen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Das aufgespannte Blatt wird nun mit Aquarellfarbe eingefärbt. Zunächst wird das Blatt gewässert und dann die Farbe aufgetragen. Ich kann mich erinnern, dass ich in früheren Jahren mit einem starken Anteil von deckender Aquarellfarbe gearbeitet habe und nach und nach davon abgewichen bin, da sich die Konturen der Bleistift-, bzw. Kugelschreiberlinien dann nicht mehr klar erkennen ließen. So sind ältere Ausgaben der Schreibtischblätter dadurch gekennzeichnet, dass die ursprünglichen Linien, Schriften und Zeichnungen nicht überall durchscheinen und auch so nicht wiedergegeben werden konnten. Da mir aber immer deutlicher wurde, dass die Besonderheit dieser Blätter eben daran festzumachen ist, dass sich materialistische Spuren mit der Kreativität und der farblichen Ausarbeitung verbinden, bzw. überlagern, achtete ich darauf, dass die Spuren des Tages- Wochen- und Jahreswerkes noch zu erkennen waren.

Nach der Kolorierung die sich überwiegend in kräftigen Rot-, Gelb-, Blau- und Grüntönen darstellt, erfolgt die Phase der Trocknung, ehe die weitere Bearbeitung fortgeführt werden kann. Die Kolorierung erfolgt intuitiv, ohne für mich erkennbares Schema, dennoch ist eine Veränderung im Laufe der Jahre hin zu kräftigeren nicht verwaschenen Farbflächen festzustellen. Die am Anfang gewählte Praxis des kräftigen Auftragens der Farbe hat ja wie bereits erwähnt dazu geführt, dass ursprüngliche Merkmale der Blätter nicht mehr überall zu erkennen waren. Ich bin deshalb damals dazu übergegangen, dass kolorierte Blatt komplett zu wässern und die zu dick aufgetragene Farbe teilweise wieder zu entfernen, um die ursprünglichen Konturen wieder erkennbar zu machen. Dann erfolgt die weitere Bearbeitung so wie ich sie nun schildern werde.

Bei dieser Vorgehensweise ist ein Blatt beschädigt worden, es ist stark eingerissen und zerfleddert. Daraus ist deshalb ein auf den noch verwendbaren Teil beschränktes kleineres Format entstanden.

Nach dem Trocknen der Farben liegt ein koloriertes Blatt vor mir, in dem die ursprünglichen Konturen und Schriftzüge, Zeichnungen und Kritzeleien durchscheinen und gut zu erkennen sind. Durch die Bearbeitung mit einer Tuschfeder, dem schon weiter oben erwähnten Rapidographen, werden nun die erkennbaren Strukturen sowohl farblicher Art, wie auch graphischer Beschaffenheit aus dem Urblatt durch Tuschenachzeichnungen sichtbar gemacht. Einzelne Farbsegmente werden voneinander, soweit erkennbar, getrennt und sämtliche Schriftzüge, Zahlen, Striche oder sonstige graphisch erkennbare Zeichnungen und Konturen herausgearbeitet. Dabei gewinnen die Farben stark an Leuchtkraft. Die Eingrenzung der verschiedenen Farbflächen durch die schwarze Tusche wirkt frappierend.

Nach Beendigung dieses Arbeitsvorganges liegt ein buntes, durch Tuschelinien überzogenes Blatt vor mir, dass gleichsam einem beleuchtet scheinenden Kirchenfenster entspricht. Ohne dabei aber jegliche Beziehung zu erkennbaren Gegenständen, Kreaturen, Gestalten erkennbar zu machen, es sei denn sie waren bereits in der Grundstruktur des Blattes enthalten.

Nach Abschluss dieser handwerklichen Phase erfolgt nun die kreative Bearbeitung des Blattes durch das Interpretieren erkennbarer Formen, Farben und Konturen. So entstehen nach und nach Gesichter, Körper oder Gegenstände die man direkt erkennen oder aber assoziieren kann.

Der Prozess der kreativen Bearbeitung durch die Verstärkung von Konturen, Verbreiterung von Linien, zusätzlicher Farbgebung und Verstärkung ist etwas was sich im Laufe der Jahre immer mehr verstärkt hat. Je länger ich an diesen Bildern gearbeitet habe, je mehr wuchs in mir der Wille, die vorhandene Formensprache herauszuarbeiten und Aussagen in die Bildstruktur hineinzubringen.

Während frühere Schreibtischbilder dadurch gekennzeichnet sind, dass sie vorgegebene Passagen in nicht unerheblicher Anzahl besaßen, trifft dies auf die späten Bilder nicht mehr zu. Hier ist die Interpretation wesentlicher und intensiver vorgenommen worden.

Interessanterweise ist dabei ein Aspekt über längere Zeit gleichgeblieben. Das spielerische Element durch das Einfügen von neuen Elementen, kleinen Rätseln oder Such- und Rateaufgaben, wie auch die Verwendung von Wörtern und Textzeilen, ist während der gesamten Zeit des Zyklus festzustellen. Allerdings ist die Bereitschaft einzelne erkennbare Figuren oder Gegenstände auch namentlich zu benennen oder in Bezug auf eine Textaussage zu erklären, in den letzten Jahren mehr hervorgetreten. Zumindest kommt mir das jetzt so vor, wo ich darüber nachdenke und versuche die Bilder zu interpretieren und selbst zu verstehen.

Der Abschluss der Arbeit an dem jeweiligen Schreibtischbild ist dann erreicht, wenn ich beim ständigen Bearbeiten nichts „Neues“ erkenne. Ich sitze vor dem Blatt und sehe nichts, keine neue Gestalt, kein Gesicht, kein Tier, keine Pflanze, nichts was sich von mir erkennen interpretieren oder anschaulich machen lässt. Dann wird es Zeit die textliche Bearbeitung vorzunehmen, den einzelnen sichtbaren Gestalten Namen zu geben, Texte hinzuzufügen die sich mir aufdrängen, Aussagen zu einzelnen Bildteilen zu machen und bestimmte Zeichen die ich mir angewöhnt habe, auf dem Bild zu verteilen. Der interessierte Betrachter wird feststellen, dass auf zahlreichen Bildern direkte gepunktete Verbindungslinien zwischen den verschiedenen bildlich dargestellten Protagonisten vorhanden sind. Diese symbolisieren die Beziehungen und den Zusammenhang der verbundenen Darstellungen. Man kann darüber nachdenken. Inspirationen oder Sinneserscheinungen der Einzelbilder werden auch durch aus dem Kopf herausführenden Punktlinien in gekrümmter Form symbolisiert.  Andere Zeichen erweisen auf die Symbolik der Kraft oder Konzentration.

Dann wird signiert, Monat- und Jahreszahl hinzugefügt. Danach wird das Bild exakt zugeschnitten.

An dieser Stelle muss ich noch einfügen, dass der Prozess des Interpretierens und Auffindens von Anregungen, Anstößen ein holpriger und steiniger sein kann. Schon oft saß ich vor dem jeweiligen Blatt und mir waren alle Eingebungen verschlossen, obwohl es noch viel zu tun gab; ich war, das sah ich, noch lange nicht fertig. Solche kreativen Blockaden führten vor einiger Zeit dazu neue Wege zu beschreiten.

Aus der Notwendigkeit die Tuschefeder des Rapidographen gangbar zu machen, sie funktionsfähig zu halten, wurde als Ausweichtätigkeit, um die Blockade zu überbrücken, auf kleinen Papierstücken von Merkzettelwürfeln so lange getuscht, bis die Stifte wieder gut funktionierten. Aus diesen Kritzeleien sind dann eines Abends kleine Bildchen entstanden. Das war dann der Anfang einer neuen Serie von kleinformatigen Bildern, die nun eigenständig neben dem Schreibtischblockzyklus stehen. Mir hat sich hierdurch eine ganz andere und für mich neue Gestaltungsmöglichkeit ergeben. Mir gelang es damit tatsächlich, die Blockade bei der Bearbeitung der großen Blätter zu beenden. Aber zurück zum Zyklus.

Nach Abschluss der Bearbeitung wird nichts mehr verändert. Dabei ist es so, dass wenn das Bild einmal gerahmt ist und ich es später anschaue, mir eine Fülle von Dingen auffällt, die ich dann sehe, die ich nun noch bearbeiten könnte. Ideen drängen sich auf die dann nicht mehr realisiert werden können und sollen. Ich glaube das es gerade das ist, was diese Bilder so interessant macht. Man kann sich sehr lange mit einem einzelnen Bild befassen, sieht immer wieder Neues, entdeckt Dinge die man erst beim zweiten oder dritten Mal hinschauen wahrnimmt und fängt an nicht ausgearbeitete Details für sich zu interpretieren und weiterzuspinnen.

Chronologie

Entstehung der Schreibtischbilder am Beispiel eines Zyklusblattes

Der weiße Block liegt auf dem Scheibtisch. Er ist Ausgngspunkt des jeweiligen Jahresblattes.

Hier handelt es sich um das Blatt von 2019.

Das Bild entstand in der 6. Kalenderwoche.

Hier werden gerade die Zahlungseingänge notiert.

Erstaunlich! In der 6. Woche noch keine Kritzeleien oder sonstige Notizen und Zeichnungen.

Das war früher anders! Die Arbeit diszipliniert.

Ein Jahresblatt wird zur Bearbeitung aufgespannt.

Das geschieht nicht im Büro, jetzt befinden wir uns am Arbeitsplatz des Künstlers. 

Das Arbeitsblatt von 1997 ist aufgespannt und wartet auf die weitere Bearbeitung.

Es ist gekennzeichnet durch die Zahlenkolonne des wöchentlichen Zahlungseingangs. Unter rechts sieht man die Jahreszahl des Blattes. Links daneben die Ermittlung des Wochendurchschnittes der Zahlungseingänge.

Jetzt wird es erstmals kreativ. Die Aquarellfarbe wird aufgetragen.

„Über die Farbenkomposition kann ich nichts sagen.

Sie erfolgt intuitiv, ohne dass ich darüber reflektiere. Ich versuche lediglich ein Gleichgewicht der Farben plus Schwerpunktsetzung zu erreichen“.

Der Arbeitsplatz des Künstlers.

Die links zu sehenden Schmierzettel dienen zum Ausprobieren der Tuschfeder und der Farbstifte. Das aus ihnen auch einmal Bilder werden sollten, war bei der Aufnahme noch nicht abzusehen.

Die Kolorierung ist abgeschlossen.

Nun beginnt die „handwerkliche“ Arbeit. Die Nachzeichnung der vorgefundenen Konturen aus Zahlen, Wesen oder sonstigen Spuren auf dem Schreibtischblatt. Gleiches gilt für die farblichen Abgrenzungen. Diese werden ebenfalls hervorgehoben.

Hier sieht man die Ausführung der Bearbeitung mit dem Rapidographen, der Tuschfeder.

Die kreative Gestaltung nimmt ihren Anfang.

Das was das Auge des Betrachters erkennt, wird herausgearbeitet. Es entstehen Figuren, Muster, Geschriebenes.

Die Bearbeitung schreitet fort.

Man erkennt bereits Figuren, Tiere, Gegenstände.

Irgendwann ist es dann so weit, der Künstler sieht nichts mehr was er interpretieren, herausarbeiten, kennzeichnen kann.

Nun erfolgt die Benennung von Bildausschnitten, textliche Beiträge werden vorgenommen und immer wiederkehrende Zeichen gesetzt.

Wenn gar nichts mehr geht, die gestalterischen Möglichkeiten erschöpft sind, wird signiert und das Datum eingetragen.

Zum Schluss wird das Schreibtischblatt zugeschnitten und zum Rahmen fertiggemacht.

Geschafft!!

Der Künstler und sein Werk.

Zufrieden sieht er aber nicht aus.

In den Händen hält er das Schreibtischblatt von 1987, dass im Mai 2019 fertig gestellt wurde.